WORUM ES GEHT…

 

Die Nerven der Demokratie liegen blank. Lange erschien es gesellschaftlich ebenso alternativlos wie klar, dass wir hier in West- und Mitteleuropa und auch in Deutschland in einer Demokratie leben und auch leben wollen. Es schien auch klar, was wir mit dem Begriff und unserem Bekenntnis zur „Demokratie“ meinen. Demokratie als Gesellschaftsform wurde im Großen und Ganzen nicht infrage gestellt. Als negativ wahrgenommene Erfahrungen mit demokratischen Institutionen und deren Entscheidungen wurden nicht dem Prinzip Demokratie als solchem angelastet, sondern z.B. „der Bürokratie“ oder konkreten institutionellen bzw. politischen Akteuren. Dieser beinahe fraglose gesellschaftliche Konsens in Sachen Demokratie ist – das zeigen nicht zuletzt die Erfolge populistischer Parteien und Bewegungen – aktuell erschüttert. Heftige Debatten um unterschiedliche Demokratieverständnisse, um die Formen und den Wert demokratischer Teilhabe und auch um die Rolle des Prinzips Öffentlichkeit für ein demokratisches Zusammenleben sind entbrannt. Die Nervenenden der Demokratie vibrieren.

 

Auf genau diese gesellschaftliche Situation bezieht sich das Festival [soundcheck philosophie] #5: „Am Nerv der Demokratie“, indem es grundsätzliche Fragen stellt: Was ist das eigentlich, DEMOKRATIE? Was sind ihre Nervenenden? Warum vibrieren sie? Was regt uns daran auf? Und wie können wir darüber produktiv streiten? Philosoph*innen und Performer*innen kreieren dazu auf dem Festival gemeinsam mit dem Publikum experimentelle Denk- und Erfahrungsräume. Dazu nutzen sie performative künstlerische bzw. theatrale Mittel, um kreative Kommunikationssettings herzustellen, die selbst dem Prinzip demokratischer Teilhabe verpflichtet sind: Tagsüber gibt es „Labore“ bzw. „Workshops“ in denen philosophisches und künstlerisches Reflektieren über jeweils einen neuralgischen Aspekt von Demokratie zusammenkommen. Auch die abendlichen Formate „Club der toten Philosoph*innen“ (zum Thema: „Demokratie – eine gute Idee?“), Philosophie-Slam (zum Thema: „Follower-Demokratie? – Braucht Demokratie Anführer?“) und die interaktive Click-Performance „MULTIPLE STREAMS" sowie die Lecture Performances haben dialogische und partizipative Elemente. Zur Darstellung, zur Sprache und zur gemeinsamen Reflexion werden – neben den verschiedenen möglichen Verständnissen des Begriffs „Demokratie“ – neuralgische Fragen kommen, wie die nach dem Verhältnis von Demokratie und Revolution, Demokratie und Gewalt, Demokratie und Phantasie/Utopie, Demokratie und Kommerz, Demokratie und Habitus sowie Fragen nach möglichen „Grenzen der Demokratie“, nach dem Verhältnis von Demokratie und Autorität („Braucht Demokratie Anführer?“), und auch danach, wie man als je einzelne/r auch mit Negativ-Erfahrungen in puncto Demokratie umgeht.

 

Das Festival versteht sich als Bestandteil einer gesellschaftlichen Suchbewegung und möchte Impulse zu geben, die die Debatten und Auseinandersetzungen um Demokratie, politische Teilhabe und Öffentlichkeit vertiefen und transformieren helfen – Impulse, die sich dabei sowohl auf die Inhalte als auch auf die Formen der Debatten und Auseinandersetzungen beziehen. Denn die aktuelle Krise der Demokratie ist vor allem auch die Krise einer ihrer entscheidenden kommunikativen Grundbedingungen: des Prinzips Öffentlichkeit. Das Festival [soundcheck philosophie] versteht sich als praktisch-performative Erforschung vor allem dieser demokratischen Grundbedingung des öffentlich miteinander Reden- und Streiten-Könnens.

 

Denn so wie man auch in einer philosophischen Diskussion darauf angewiesen ist, sich verständlich zu machen, Positionen zu kommunizieren und dies in einem Raum öffentlicher Weltverständnisse zu tun, ist auch für demokratische Prozesse der erste Schritt die entsprechende Perspektiven- und Standpunkt-Kommunikation. Allein schon das ist mühselig und manchmal frustrierend, oft macht man die Erfahrung, dass Demokratie ‚nervt‘ oder jedenfalls ‚nerven kann‘. Entsprechend geht es beim Festival [soundcheck philosophie] noch vor dem Nachdenken um das konkrete formale WIE von Entscheidungsfindungen erst einmal um die Bedingungen, die es braucht, etwas „zur gemeinsamen Sache“ zu machen: Anerkennung, Verständigung, Aus- und Eingrenzungsprozesse, Relevanzmarkierungen, Eintreten in den öffentlichen Raum etc. sind solche kommunikativen Bedingungen. Mit ihnen wird auf dem Festival gespielt, um zusammen mit dem Publikum über Interventionen und Interaktionen sowohl theoretisch als auch praktisch produktive Formen des gemeinsamen öffentlichen Denkens zu erkunden – als Grundvoraussetzung demokratischen Zusammenlebens. Dazu gehören auch kreative Begründungs- und Argumentationsweisen und die körperliche Präsenz zur Vertretung eines Standpunktes, denn auch dies sind Bedingungen, die vor jedem gemeinsamen Handeln, das demokratisch ausgehandelt werden soll, stehen. Demokratie besteht in der Perspektive des Festivals eben nicht nur darin, alle vier oder fünf Jahre seine Stimme abgeben zu können, sondern ist eine gesellschaftliche Lebensform, die kultiviert werden muss. Es geht in diesem Sinne darum, die Fähigkeit zu kultivieren, Öffentlichkeit und Kommunikation zu ertragen, Offenheit von Situationen auszuhalten und immer wieder herzustellen, auch und gerade, wenn es um das öffentliche Nachdenken über das schwierige Thema Demokratie geht.

 

Gerade weil es um Demokratie und Teilhabe geht, wird das Festival so choreografiert, dass eben diese Teilhabe des Publikums und das wirklich gemeinsame Nachdenken von Akteur*innen und Besucher*innen des Festivals permanent herausgefordert werden. Entsprechend wird das Festival den Schwerpunkt auf interaktive Workshop- und Labor-Formate legen, die demokratie-relevante Aspekte bzw. Grundbedingungen öffentlichen Miteinander-Sprechens verhandeln:

 

  • Stimme erheben, Stimme geben
  • Ausgrenzung, Eingrenzung
  • Anerkennung
  • Macht-Spiele
  • Teilhabe, Präsenz und Repräsentation
  • Verstehen-Verständigung
  • Erlebnis, Erkenntnis/ Wissen, Werte, Wirklichkeit
  • Position beziehen
  • Habitus, Verhalten, körperliche Öffentlichkeit

 

Zum Festival eingeladen sind Philosoph*innen und Philosophie-Performer*innen aus dem deutschsprachigen Raum, die entweder ausgewiesene akademische Expert*innen auf dem Gebiet des Nachdenkens über Demokratie und Öffentlichkeit sind und/oder die Erfahrungen mit dem Kreieren von produktiven philosophischen Denkräumen haben.

 

Das Festival ist mit einer begleitenden philosophischen Tagung verknüpft. Titel der Tagung: „Philosophie & Öffentlichkeit. Zu den performativen Bedingungen des Denkens in der Gegenwart“.

 

An wen richtet sich das Festival?

 

Das Festival richtet sich zum einen an all diejenigen, die gesellschaftlich und politisch interessiert sind und die sich gerade in der gegenwärtigen Situation auch für grundsätzliche – das heißt philosophische – Fragen von Demokratie, Partizipation und Öffentlichkeit interessieren. Dabei sind ausdrücklich auch diejenigen angesprochen, die eher skeptisch und zweifelnd „der Demokratie“ gegenüber sind – so sie nur Interesse am geistigen Austausch haben. Das Festival wendet sich zudem an diejenigen, die sich für künstlerische bzw. an künstlerisch inspirierte Bearbeitungsversuche von philosophischen – und in diesem Falle eben demokratie-philosophischen – Fragen haben. Zudem hat das Festival unterschiedliche Altersgruppen im Blick: mit den tagsüber stattfindenden Labor- und Workshop-Formaten ebenso wie mit den Abendveranstaltungen. Der Workshop „Alle 11 Minuten Demokratie“ und der Philosophie Slam wenden sich dezidiert an ein jüngeres Publikum – insbesondere an Schüler_innen und Studierende.

 

In besonderer Weise richtet das Festival sich aber gerade auch an Praktiker_innen und Multiplikator_innen in Sachen Demokratie, das heißt an Menschen, die in gesellschaftlichen, politischen, künstlerischen und Bildungskontexten (Stichwort: Demokratiepädagogik) selber an Fragen der Entwicklung und Vermittlung von Demokratie, Partizipation und Öffentlichkeit arbeiten. Das Festival [soundcheck philosophie] bietet für sie ein Forum der vertieften Auseinandersetzung und auch des intellektuellen Austausches auch und gerade über schwierige und kontroverse Fragen rund um das Thema Demokratie.